Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Von Sebastian Fasthuber.

„Es war eine gute Zeit! Wir waren jung und faul."

Im Gespräch mit Plastic People of the Universe

Die Inhaftierung der Rockgruppe „Plastic People of the Universe“ nach einem Konzert im Februar 1976 war der unmittelbare Auslöser für die Verfassung der Charta '77. Der Wiener Autor Sebastian Fasthuber und der Band-Intimus Abbé Libánský sprachen und tranken für „Report“ mit den zwei Bandmitgliedern Jiří Kabeš und Vrata Brabenec in Prag.

„Das war noch ein relativ harmloser Abend“, lacht der nach Prag mitgereiste Fotograf und langjährige Band-Intimus Abbé Libánský. „Aber ein ‚tschechischer‘ war es schon.“ Der Tisch in der Hospoda (Wirtshaus) biegt sich zur fortgeschrittenen Abendstunde unter den geleerten Gläsern. Vrata Brabenec, Saxophonist, Texter und Mastermind der „Plastic People“, verabschiedete sich mit leicht schwankender Verbeugung. Sein Kollege Jiří Kabeš hatte bereits das Feld geräumt, nachdem er sich in Rage geredet, laut mit der Faust auf den Tisch gehauen und proklamiert hatte, länger zu bleiben, sei unerträglich. Sein pubertierender Spross mache Anstalten, ihn zu belügen, das ertrage er momentan unerwartet schlecht. Sprach’s und entschwand. Seltsam? Die Welt der „Plastic People“ funktioniert nach ihrer ganz eigenen Logik.

Bedingungsloses Zusammenhalten und Vertrauen etwa sind in ihrem Universum wichtige Werte. Sie waren unabdingbar für die in den siebziger Jahren ständig mit der Angst lebenden Musiker, inhaftiert zu werden. Ohne Vertrauen zueinander würden der Jazz-Liebhaber Brabenec und der Rocker Kabeš – beide von ihrem wilden Leben äußerlich gezeichnet, aber geistig wach wie eh und je – heute mit Anfang 60 womöglich nicht in dieser Konstellation als „Plastic People“ sitzen.

Von den anderen Gästen des Lokals werden die lauten, ungehobelten Typen schüchtern, jedoch stolz beäugt. Schließlich sind die „Plastic People“ in ihrer Heimat eine Art Nationalheiligtum. In jedem Plattenladen in Prag finden sich ihre CDs, selbst die jüngere Generation weiß über die Bedeutung der Band Bescheid: Diese alten Freaks waren vor über 30 Jahren die einzigen Musiker, die sich offen gegen das kommunistische Regime und die Unterdrückung der künstlerischen Freiheit in der damaligen Tschechoslowakei auflehnten; die trotz Verbot einfach weiterspielten; die viel aufs Spiel setzten, das Regime letztlich sogar überlebten.

Über ihre politische Bedeutung reden die „Plastic People“ nicht gern. Brabenec, nach dem Tod des langjährigen Sängers Milan Hlavsa das Sprachrohr der Band, hat schon Interviews abgebrochen, da der Gesprächspartner lediglich daran interessiert war, über die „Plastic People“ als politische Band und als wichtigste Vertreter eines sagenumwobenen tschechischen Undergrounds zu sprechen. „So haben wir uns nie gesehen“, ärgert der sich. „Ich mag auch das Wort ‚Underground‘ nicht. Das hört sich so an, als wären wir Partisanen oder Guerillakämpfer gegen den Staat gewesen. Wir haben nicht gegen die politische Macht gekämpft. Wir wollten einfach tun, was uns gefiel. Weil uns das von Staatsseite nicht erlaubt war, wurde es politisch. Eine politische Band waren wir keinesfalls, Musik wollten wir machen. Wir suchten nach der neuen Poesie und strebten danach, frei zu leben. Mehr nicht.“ Das war nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts, die im August 1968 den Prager Frühling gewaltsam beendeten, für die Oberen jedoch schon entschieden zu viel.

Im September 1968 gegründet und benannt nach einem Song von Frank Zappa, begannen die „Plastic People of the Universe“ als eine Band von vielen. „In den sechziger Jahren wurde fast jeden Tag eine neue Rockgruppe gegründet, beeinflusst von den Beatles und den Rolling Stones, den Hippies, neuen Ideen und Philosophien“, erinnert sich Brabenec. „Das war überall so, und obwohl wir ein wenig isoliert waren, ist all das auch in die Tschechoslowakei vorgedrungen.“ Diese erste Phase als typische, von den Beatles beeinflusste Garagenband überwanden die „Plastic People“ jedoch sehr schnell. Sie hatten das Glück, auf Menschen und Musik zu treffen, die ihren Horizont entscheidend erweitern sollten.

Wichtig für das künstlerische Vorwärtskommen der Band war ihre frühzeitige Begegnung mit der Musik von „The Velvet Underground“. Jiří Kabeš, der Kunst studierte und Andy Warhol verehrte, war bereits 1969, als weltweit noch kaum jemand das legendäre Album mit der Banane auf dem Cover gehört hatte, auf die Band aus Warhols Factory gestoßen. „Ich war auf der Suche nach Musik, die anders war als Bob Dylan und Jim Morrison, die mich beide zu langweilen begannen. ‚Velvet Underground‘ waren damals definitiv eine andere Welt.“

Ganze Konzerte bestritten die „Plastic People“ 1970 mit Songs von „Velvet Underground“ und Lou Reed. Zu dieser Zeit wuchsen sie unter der Führung von Ivan Jirous, auch „Magor“ (der Verrückte) genannt, der weit mehr als nur ihr Manager war und den Musikern Vorlesungen über Kunstgeschichte hielt, nach und nach zu einer eigenständigen musikalischen Einheit heran. Sie begannen, ihre eigenen Songs zu schreiben, ließen Jazz- und Avantgarde-Sounds einfließen, führten Happenings „in Maske mit theatralischem Charakter“ auf, erweiterten – in jeder Beziehung – ihren Horizont. „Dieses Wissen, das Magor uns weitergegeben hat, war für uns sehr wichtig, um einen eigenen Blick auf die Kunst und die Welt zu entwickeln“, meint Brabenec über die Bedeutung des Managers, der heute nach vielen Jahren im Gefängnis zurückgezogen auf dem Land lebt. „Zusammen mit ein paar Zufällen und dem Klima, in dem wir lebten, hat das zu den ‚Plastic People‘ geführt.“

Zur Sonderstellung, die die Gruppe heute genießt, trug freilich nur zum Teil ihre Musik bei. Das Rockalbum „Egon Bondy’s Happy Hearts Club Banned“ und das avantgardelastigere „Passion Play“ sind bis heute Platten mit Nachhaltigkeit. Berühmt jedoch machte die Musiker letztlich ihr konsequentes Nicht-Reagieren auf das Spielverbot englischer Songtexte, das ab 1969 in der Tschechoslowakei hart durchgesetzt wurde. Sie spielten einfach als „Plastic People“ weiter, in kurzfristig angekündigten Konzerten, damit die Polizei nichts davon erfahren sollte. Vornehmlich auf Bauernhöfen und bei Hochzeiten von Freunden traten sie in dieser Phase auf, erwischt wurden sie dennoch mehrmals – und im Februar 1976 nach einem Konzert auf der Hochzeit ihres Managers schließlich in Untersuchungshaft gesteckt.

An seine acht Monate im Gefängnis will sich Brabenec heute nicht mehr erinnern. „Da waren ein paar Feste und Hochzeiten, wo es danach zu Problemen kam“, meint er einsilbig. „Es war eine gute Zeit, wir waren jung und faul.“ Nachhaken: Aber es muss doch eine unglaubliche Belastung gewesen sein, ständig mit der Angst zu leben, verprügelt und festgenommen zu werden? Brabenec lächelt: „Es ist schwieriger, gute Poesie zu finden, als von der Polizei verfolgt zu werden. Diese Phase hat ein paar Jahre gedauert, aber einen Text in Einklang mit der Musik zu bringen, das kann manchmal ein ganzes Leben dauern.“ Sich so radikal der Kunst und dem Willen zur Freiheit zu opfern – ist das Mut gewesen oder einfach nur Verrücktheit? „Beides“, sagt Brabenec. „Wir waren mutig und verrückt.“ – „Und stark waren wir auch“, meldet sich Kabeš zu Wort.

Zwischenzeitlich allerdings sah es so aus, als würden die „Plastic People“ dem ständigen Druck nachgeben müssen. Die achtziger Jahre beschreibt Brabenec rückblickend als „düstere Zeit“. Ihr 2001 verstorbener Sänger und Bassist Hlavsa wollte den Sound der Gruppe damals kommerzialisieren und hatte deshalb einen Vertrag mit amerikanischen Managern unterschrieben.

Brabenec, bis heute der ästhetisch radikalste und in keinerlei Hinsicht kompromissbereite „Plastic People“-Musiker, verließ die Band im Streit und flüchtete vor der Polizeiverfolgung nach Kanada. „Ab und zu spielte ich Musik, wenn man mich gefragt hat“, erinnert er sich an seine 15 Jahre im Exil. „Aber die meiste Zeit habe ich in Ruhe meine Wunden geleckt. Meinen Kollegen habe ich einen Brief geschrieben, dass ich nicht mehr mit ihnen in Kontakt sein will.“

Heute ist diese Phase, in der die „Plastic People“ teils unter dem Namen „Pulnoc“ spielten, längst vergessen. Auch wenn sie längere Zeit getrennt waren, machen sie den Eindruck eines Bündnisses auf Lebenszeit. Ein bisschen wie die Rolling Stones, nur um ein paar hundert Millionen ärmer und – doch weniger peinlich. Seit 1997, als ihr alter Freund Václav Havel sie engagierte, um zum 20. Jahrestag der Charta ’77 ein Konzert zu spielen, sind sie nun wieder gemeinsam aktiv. Inzwischen wurden neben dem Bandkern aus Brabenec, Kabeš und dem Keyboarder Josef Janíček auch einige junge Musiker aufgenommen, die sich als würdige „Plastic People“ erwiesen. „Die haben sich erstaunlich gut eingelebt“, sagt Brabenec. „Vielleicht liegt ja noch etwas vor uns, vielleicht aber auch nur der Friedhof.“ Schallendes Lachen.

Pläne haben die „Plastic People“ noch. Vielleicht kommt da noch ein neues Album, vor allem wollen sie 2006 ihr „Passion Play“ (Passionsspiel), einen religiös motivierten Songzyklus, samt großem Orchester wiederaufführen. „Passionsspiel“: Der Bezug zur Religion scheint bei einer Underground-Band ungewöhnlich. Tatsächlich aber hat der Glaube in Tschechien als kritischer, von Staatsseite nicht gern gesehener Akt durchaus Tradition. „Ich habe einige Jahre Theologie studiert“, erzählt Brabenec, „auf der Suche nach einer Interpretation der Geschichte von Jesus Christus. Besonders interessiert hat mich die Frage, was sie heute für uns bedeutet.“ Auch die berühmte Sinn-Frage hat sich der Musiker oft gestellt. „Das ist ein Lebensprojekt. Heute weiß ich: Du musst wissen, wie man Sinn erschafft, um keinen Sinn zu erschaffen. Im Leben und in der Musik.“

Das Gespräch an diesem Prager Hospoda-Abend ist an einem Punkt angelangt, wo alles gesagt scheint und weitere Detailfragen nach den siebziger Jahren kleinlich wären. Also lieber noch Rotwein und Pivo bestellen. Ein letztes Mal dann meldet sich Brabenec, der zwischenzeitlich zu einem leisen Grummeln und Singen übergegangen ist, doch noch deutlich vernehmbar zu Wort: „Was meinen Sie, sind wir stark oder sind wir nur alte Fürze?“ Starke alte Fürze, keine Frage.



Sebastian Fasthuber arbeitet als freier Musik- und Literaturkritiker („now!“, „falter“, „Der Standard“, „Spex“).

Ein besonderer Dank geht an Abbé Libánský für das Dolmetschen bei diesem „abendlichen Gespräch“.

Buchpräsentation und Konzert
Am Samstag, den 22. April 2006, um 19.30 Uhr, stellt Abbé Libánský sein Buch „My Underground“ vor, im Anschluss spielen „Plastic People of the Universe“ das „Passionsspiel“.

Weitere Konzerttermine auf:
www.kandl.cz/plasticpeople

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa, Mai 2006
> Link:Report online > Link: kandl.cz / Plastic People of the Universe-